Wie können Alternativen aussehen, die eine andere Welt gestalten, die nicht nur möglich ist, sondern bereits existiert, über gelebte Liebe. 2018 sollte das Jahr der Utopien werden.
Das neue Jahr ist nicht mehr ganz so neu, trotzdem möchte ich noch einmal zurück auf Silvester schauen, genauer gesagt auf Silvester in Köln, das dieses Mal super gelaufen ist. Was für eine Erleichterung! Die zehn Tage vor dem Jahreswechsel musste ich mich noch an Sperrgittern vorbeidrücken, die den Platz vor dem Hauptbahnhof verstellten wie eine Warnung: Bleibt weg! Nicht etwa: Kommt bloß nicht auf die Idee, hier Straftaten zu begehen. Auch Till-Reimer Stoldt beschwor in der WELT, wenn „junge Männer orientalischer Herkunft“ in Köln Silvester feiern wollten, „werde fast schon eine Art Wallfahrtsort des orientalisch getönten Sexismus‘ errichtet“. Sprich: Willst du nicht sexistisch sein, hör auf „orientalisch“ zu sein.
Doch dann kam alles anders. Trotz fast 2.000 Polizist*innen und Sicherheitskräften gab es keinen Polizeikessel und kein Racial Profiling. Wirklich?
Isolde Aigner, Redakteurin der feministischen Zeitung WIR Frauen, die bereits im Vorjahr auch als Beobachterin nach Köln gefahren war, berichtet, dass junge, männliche Personen, denen vermutlich aufgrund ihres Aussehens das Täterprofil von Silvester 2015/16 zugeschrieben wird, am späten Abend den Kölner Hauptbahnhof nicht ohne Fahrtticket durchqueren durften. An den Hinterausgängen waren Polizisten (männlich) postiert und hielten diese mit ausstreckten Armen ab und forderten sie auf, sich ein Ticket zu kaufen. Tickets können außerhalb des Bahnhofs jedoch nicht erworben werden. Andere Personen konnten den Bahnhof entweder ungehindert passieren, wurden schnell durch gewunken oder nur gefragt (nicht kontrolliert), wohin sie wollten. Keiner von ihnen wurde durch entsprechendes ‚Arm ausstecken‘ abgehalten – so Aigner.
Das ist Racial Profiling, und ist es auch das neue Normal. Irgendwie ausländisch aussehende männliche Menschen zwischen Beginn der Pubertät und Ende 20 sind inzwischen die gesellschaftlich am meisten ausgegrenzte Gruppe. Ich weiß von jungen Geflüchteten, die gleichaltrige Frauen nicht mehr nach dem Weg fragen, weil diese dann in der Regel ängstlich weghasten. Das ist natürlich nicht die Schuld der Frauen, sondern unsere, die wir auf allen Kanälen über die problematische Sexualität von rassifizierten Migrant*innen diskutieren. Also Migrant*innen wie mich, die ich zwar hier geboren wurde, aber qua Hautfarbe noch irgendwo anders hingehöre. Ich kann gar nicht häufig genug betonen, wie froh ich bin, mit meinem Aussehen kein Mann zu sein.
Feminismus ist Gleichberechtigung für ALLE
Warum schreibe ich das in meinem ersten feministischen Zwischenruf 2018? Feminismus bedeutet Gleichberechtigung für alle. Darüber hinaus bedeutet Feminismus für mich, dass ich bei jedem Vortrag, den ich halte, darauf angesprochen werde, was ich denn zu sexuellen Grenzüberschreitungen von Migranten zu sagen habe. Weshalb ich inzwischen wirklich etwas dazu zu sagen habe. Nämlich, dass zwar keine Statistik belegt, dass migrantische Männer gefährlicher sind (ja auch die letzten Kriminalstatistiken, die so reißerisch vor der Bundestagswahl eingesetzt wurden, belegen das nicht), aber dass fehlende Gleichbehandlung viele der Probleme, über die wir zur Zeit auf allen Kanälen diskutieren, überhaupt erst erzeugt. Als ich in den 70er Jahren Deutschland aufwuchs, nannten mich zwar alle „Gastarbeiterkind“ aber niemand redete von „Parallelgesellschaften“. Muslime waren noch nicht das Feindbild in Bezug auf Frauenrechte, das waren wir, also die Hindus, die ihre Witwen verbrannten und ihre Ehefrauen ermordeten. Spoiler: Auch damals schon war Witwenverbrennung und Mitgiftmord in Indien ein Verbrechen und keineswegs eine kulturelle Handlung. Doch als meine Eltern in den 80er Jahren mal zu einer Eheberatung gingen, sagte der Therapeut nur „Ah, sie kommen aus Indien ...“. Das Problem ist, dass eine häufige Reaktion auf Fremdausschluss Selbstausschluss ist. Entsprechend ging mein Vater nie wieder zu einem Therapeuten und blocken viele junge Männer mit der selben Hautfarbe wie mein Vater Gespräche über Sexismus ab, weil sie sowieso nur als Täter vorkommen.
Sexismus bekämpfen: aber wie?
Aber was ist dann mit dem Sexismus muslimischer Männer?, werde ich immer wieder gefragt. Die Antwort lautet: Ich habe niemals behauptet Expertin für Sexismus im Islam oder Christentum oder Hinduismus oder überhaupt Religionswissenschaftlerin zu sein. Außerdem ist Sexismus keine Religion, was spätestens seit #metoo allen klar sein sollte: Harvey Weinstein ist kein Muslim.
Trotzdem steckt hinter dieser Frage ja häufig gar nicht der Wunsch, Menschen abzuwerten, obwohl das der Effekt ist, sondern ein echtes Bedürfnis, das ich mir so übersetze: Wie können wir denn sonst ein erneutes Silvester in Köln verhindern? Wie können wir gegen Sexismus kämpfen?
Und es ist nicht nur legitim darüber zu reden, sondern auch für hilfreich für alle. Buchstabiert: A-L-L-E. Und da gibt es tatsächlich Wege. Ein Beispiel: Lasst uns die Schulen einbinden mit obligatorischen Unterrichtseinheiten zu sexueller Selbstbestimmung. Und noch einmal für A-L-L-E: Für Jungs, Mädchen, andere Geschlechter, Schwarz, weiß, grün gestreift. Und bitte wirklich sexuelle Selbstbestimmung und nicht Antisexismus. Bei letzterem werden Rollen verteilt, die dann durch egal wie viel Unterricht nicht mehr verlassen werden können. So gibt es in Nordrhein-Westfalen immer wieder den Ruf nach Anti-Sexismustrainings für Migrant*innen. Das ist so, als würde ich meinen Freund*innen ein Anti-Diebstahl-Training aufbrummen. Ein anderes Beispiel: Wie wäre es mit obligatorischen Trainings in gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg für Polizist*innen. Sowie freundlicherer Kleidung bei Einsätzen auf Großfeiern wie Silvester. Es müssen ja nicht direkt pinke Plüschuniformen sein – wobei: warum nicht? - aber schon keine Waffen zu tragen, würde unmittelbar deeskalierend wirken.
Und dann schrieb mir eine Freundin: „Wir haben ein Sexismusproblem bei uns im Club, an dem auch viele Männer mit Migrationshintergrund beteiligt sind. Was können wir machen?“ Ich fragte vorsichtig, ob es denn vorher keinen Sexismus gegeben habe? Natürlich auch, antwortete sie. Aber in diesem Fall fühlten sich alle besonders hilflos, denn niemand wollte der Böse sein, sprich Gefahr laufen als Rassist wahrgenommen zu werden. Und ich dachte: Okay, wir sollten nicht darauf warten, bis die Polizei oder die Politik sich ändern, sondern können direkt in unserem Umfeld oder unserem Club intervenieren.
Sexismus ist Zeichen eines dysfunktionales Systems
Dafür ist die Sichtweise hilfreich, dass Sexismus nicht nur ein Problem für die direkt Betroffenen ist, sondern ein Zeichen für ein dysfunktionales System. Deshalb profitieren wir alle davon, das System zu verbessern. Das kann durch simple Interventionen geschehen, wie einen runden Tisch, an dem sich alle gemeinsam auf eine Nettikette für den Club oder einen anderen gesellschaftlichen Raum verständigen. Ganz wichtig: Auch Menschen, die als problematisch wahrgenommen werden, in die Lösungsfindung einbinden. Denn je mehr Menschen sie gemeinsam entwerfen, desto mehr werden sich nachher auch an die Nettikette halten.
In den Niederlanden gibt es bei Festivals das Prinzip Care-Bears zu benennen, Leute mit Bärenmützen, an die man sich wenden kann, und die entweder erste-Hilfe-Empathie leisten oder in Situationen eingreifen können, ohne zu sanktionieren. (Also „Was läuft hier gerade schief?“ versus „Wir wollen hier keine Sexisten“).
To be continued ...
Denn nachdem ich letztes Jahr hauptsächlich schockiert gegen sexistische und rassistische und anders-istische Schlagzeilen angeschrieben habe, will ich dieses Jahr über Alternativen sprechen, darüber wie wir die andere Welt gestalten können, die nicht nur möglich ist, sondern bereits existiert, über gelebte Liebe. #solidaritystrikesback, #happineness #allyouneedislove,
2018 wird mein Jahr der Utopien.